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Panoramaansicht der weitläufigen, grünen Dünenlandschaft auf Amrum
Konrad Bender

Das grüne Meer von Amrum

Auch wenn man schon Dutzende Male hier gewesen ist: Die Nordsee ist immer einen Besuch wert. Und sei es nur, um sich ein bisschen den Wind ins Gesicht wehen zu lassen. Auch in der Nebensaison gibt es viel zu entdecken. Unser Redakteur Konrad Bender hat sich im Herbst auf Amrum und vor allem in den Amrumer Dünen herumgetrieben – bei Tag und bei Nacht.

Eigentlich sollte es „nur“ eine nächtliche Dünenwanderung werden. Dark Blome, der Dünenführer unserer kleinen Amrun-Reisetruppe, kennt sich bestens mit Sternbildern und den mystisch-märchenhaften Geschichten dahinter aus. Doch das Schauspiel, das sich unseren weit aufgerissenen Augen gerade bietet, lässt selbst diesen ungewöhnlich redseligen Norddeutschen sprachlos zurück: Knapp ein Dutzend heller Lichtpunkte – deutlich größer als die sie umgebenden Sterne – zieht wie an einer Perlenkette in einer geisterhaften Prozession über unsere Köpfe hinweg. Ich gebe zu, auch mein erster Gedanke war: „Sind das jetzt (endlich) die Aliens?“

Der Leuchtturm von Amrum, von einer Fähre aus gesehen
Konrad Bender

Die Erklärung ist weitaus banaler. „Das sind Satelliten, die der Musk hochgeschossen hat. Angestrahlt von der restlichen Sonne.“ Darks Begeisterung hält sich hörbar in Grenzen. Seit 2019 füllt der umstrittene Multimilliardär Elon Musk den Himmel über unseren Köpfen mit seinen Starlink-Satelliten, die weltweit kabelunabhängigen Internetzugang ermöglichen sollen. Stand Ende Oktober gut 5.000 Stück. „Wenn das in dem Tempo weitergeht, sehen wir hier bald gar keine Sterne mehr über der Insel“, grummelt der Dünenführer.

Porträt von Dark Blome, Dünen- und Wattführer auf Amrum
Dark Blome beginnt seine Führung mit Beginn der Dämmerung | Konrad Bender

Beste Aussichten für Hobby-Astronomen

Und das wäre ausgesprochen schade, denn der funkelnde Sternenhimmel ist eines der Highlights auf der viertgrößten nordfriesischen Insel Amrum. Dark Blome – der eigentlich den nordischen Namen „Dag“ tragen sollte, aber bei der Geburtsurkunde lief was schief – kennt die weitläufige Dünenlandschaft ebenso gut wie das Firmament. „Der erste Himmelskörper, den ihr deutlich sehen könnt, ist die Venus. Da!“, macht er uns aufmerksam, kurz nachdem wir uns zur Dämmerung in die Dünen bewegt haben. Und tatsächlich: Dem Fingerzeig des Dünenführers folgend, sehe ich mit bloßem Auge unsere helle Nachbarin, die ich sonst vielleicht für einen Stern gehalten hätte.

Übergang vom Strand zur Dünenlandschaft
Konrad Bender

Um die Sternbilder geht es dann gleich als Nächstes. Den Kleinen Wagen mitsamt Polarstern erkenne ich gerade noch so, danach wird es dünn mit dem Konstellationswissen. Dark aber kennt sie alle, und auch die Geschichten dahinter: Ob nun Pegasus, der aus dem Hals der abgeschlagenen Medusa an den Himmel sprang, oder Wega und Altair im Sommerdreieck, die nach japanischer Sage als Liebende nur einmal im Jahr zueinander finden und das restliche Jahr von der Milchstraße getrennt werden. Das weiß-silberne Sternenband ist unterm norddeutschen Himmelszelt übrigens auch super zu sehen.

Ein Holzsteg führt durch das Grün der Dünen
Konrad Bender

Zum Abschluss der Wanderung führt Dark uns über die in die Dünenlandschaft gezimmerten Holzstege auf eine Aussichtsplattform, die höher als alle umliegenden Sandhügel liegt – beste Aussicht also auf all die Leuchtfeuer, die sich dem aufmerksamen Auge an der Nordseeküste präsentieren. „Jeder Leuchtturm hat eine Kennung“, erklärt uns der Experte, „damit man sie bei Nacht auf See unterscheiden kann.“ Der Amrumer Leuchtturm beispielsweise hat die Kennung „Blitz Weiß 7,5“, also ein kurzer weißer Lichtblitz alle siebeneinhalb Sekunden. Es zeigt sich einmal mehr: Reisen bildet.

Natur, die es zu schützen gilt

Am nächsten Morgen bummele ich durch Norddorf, das drittgrößte und nördlichste der fünf Dörfer auf Amrum. Auch jetzt in der Nebensaison herrscht geschäftiges Treiben in dem typisch friesischen Örtchen. Wie für den Nordsee-Tourismus üblich, gibt es auf Amrum zahllose Ferienwohnungen und Pensionen, daneben auch einige größere Wellnesshotels. Der Großteil der Gäste, die mir auf meinem Morgenspaziergang begegnen, sind Familien mit kleinen Kindern, die vielleicht gerade ihren ersten Urlaub am Meer verbringen, ihre ersten Muscheln sammeln und sich selbst unter elterlicher Aufsicht knöcheltief in den weichen Wattboden wackeln. Doch auch wunderliche Naturfreunde wie mich zieht es in den hohen Norden. Und in die einzigartige Dünenlandschaft auf dieser Insel.

Ein typisches Friesenhaus mit roten Ziegeln und Reetdach
Konrad Bender

Deshalb jetzt raus aus Norddorf und hinein ins Naturschutzgebiet Amrumer Dünen! Am Naturzentrum, gleich am Zugang zum Norddorfer Strand, treffen wir Kira. Die 19-Jährige absolviert ein Freiwilliges Ökologisches Jahr beim Natur- und Heimatverein „Öömrang Ferian“, der sich für den Erhalt der friesischen Sprache und Kultur ebenso einsetzt wie für den Erhalt der Natur. Im Naturzentrum werden außerdem auch spannende Kurse für kleine Naturkundler angeboten, die hier spielerisch alles Wissenswerte über das Watt und die Insel lernen oder mit Strandmaterial kleine Kunstwerke basteln können. Wir aber ziehen mit unserer kompetenten Führerin in die Dünen, denn die dürfen nicht einfach so bewandert werden. Zu empfindlich ist der charakteristisch grüne Strandhafer, der den Sand in Form hält.

Gestatten, der Blanke Hans

Die Dünen sind die Lebensversicherung der Amrumer, dienen als natürlicher Deich und Schutz vor den Urgewalten der Natur, die in Form der rauen Nordsee mit unablässiger Vehemenz gegen die Westseite der Insel bricht. „Wenn wir das Meer sehen, sieht das Meer uns“, fasst Kira die Gefahr prägnant zusammen, und kurz läuft mir ein Schauer über den Rücken. Ich muss an die mystische Nordsee-Insel Rungholt denken, die bei einer Sturmflut 1634 in einer Nacht mit Mann und Maus vom Meer verschluckt wurde. Wenn sich der Blanke Hans zeigt, wie die Küstenbewohner die Nordsee bei Sturm nennen, lernt man schnell den Respekt vor der Natur.

Am Strand von Amrum wird der Sand durch starken Wind aufgeweht
Konrad Bender

Der Blanke Hans ist auch bei unserem Gang über den Strand fleißig zugange. Der für Amrum typische Kniepsand, also besonders kleinkörniger, feiner Sand, ist eigentlich eine wunderbar weiche Liegeoberfläche, wenn man sich hier im Sommer am Strand sonnt und sich den Sand durch die Zehen rieseln lässt – und unweigerlich noch monatelang etwas davon in den Schuhen hat. Heute hingegen erhalte ich dank extremer Windgeschwindigkeiten ein kostenloses Gesichtspeeling und ein Work-out noch obendrauf, während wir uns entgegen der Windrichtung den Strand entlang vorkämpfen. Aber ich beschwere mich nicht. Ich wollte Natur, und ich kriege Natur, in ganzer Fülle.

Panoramaansicht der weitläufigen, grünen Dünenlandschaft auf Amrum
Konrad Bender

Auf Du und Du mit den Dünenbewohnern

Nach kurzer Zeit aber biegen wir schon über die Himmelsleiter in die Dünen ab. Das Betreten der Dünen selbst ist zwar zum Schutz von Flora und Fauna verboten, doch quer hindurch führen die breiten Holzstege, auf denen wir auch gestern während der Nachtwanderung unterwegs waren. Jetzt, bei Tageslicht, zeigt sich die einzigartige Naturlandschaft in ihrer ganzen Pracht. Wie ein zweites, hellgrün leuchtendes Meer wogen und wabern die Halme des Strandhafers hin und her, ein beinahe hypnotischer Anblick. Wenn es nur nicht so unfassbar windig wäre. Sobald wir aber vom Dünenkamm hinab in die Landschaft steigen und dem Holzsteg folgen, legt sich auch wie von Zauberhand der Wind, der uns eben noch die Tränen in die Augen getrieben hat.

Im Gänsemarsch bewegen wir uns über die leicht besandeten Holzbohlen, aber immer mit festem, sicherem Tritt. Kurz vor Ende unserer Wanderung kommen wir an einigen seltsamen Felsen vorbei, die links des Wegs halb aus dem Sand herausragen. „Das war ein steinzeitliches Hügelgrab“, klärt uns Kira auf, also eine prähistorische Grablege. „Früher – oder auch heute noch – vermutete man, dass hier unter den Dünen die Onerbäänke wohnen.“ Die koboldähnlichen Sagengestalten sollen einem Haushalt Glück bringen, wenn man sich mit ihnen gut stellt, können aber auch für Schabernack und Unheil sorgen, wenn man sie erzürnt. Voller Sorge lasse ich meinen Inselbesuch Revue passieren. Ich habe aber meines Erachtens alles richtig gemacht. Und wer weiß: Vielleicht waren die Lichter am Himmel letzte Nacht auch keine Satelliten, sondern einfach ein paar fliegende Onerbäänke.

Ein Bistro mit Namen "Onerbäänke"
Konrad Bender

Gut zu wissen

Die Insel Amrum ist und bleibt ein beliebtes Reiseziel der Deutschen. In der Hauptsaison sind die Betten teilweise bis zu 97 Prozent ausgelastet, frühe Planung lohnt sich also. Viele Pensionen und Ferienhäuser sind familiengeeignet. Größere Hotels wie beispielsweise das Seeblick Genuss und Spa Resort in Norddorf halten auch ein umfangreiches Wellnessangebot bereit. Auf die Insel kommt man nur mit der Fähre von Pellworm, Schlüttsiel oder Amrum (Fährzeiten von den Gezeiten abhängig, online einsehbar). Bei Anfahrt mit Auto sollte vorzeitig reserviert werden, per Bahn geht es von Niebüll direkt bis Dagebüll Mole und ohne Reservierung zu Fuß auf die Fähre.