Regensburg ist eine der lebendigsten, jüngsten und verspieltesten Städte in Deutschland. Steile These? Hätte Funky Germany-Autor Harald Braun auch so gesehen, bis er das erste Mal hinreiste.
Ich mag ja Gegensätze. An unserem ersten Tag in der bayerischen Mittelstadt lümmeln sich am frühen Abend eine Menge Menschen vor den idyllischen Lager- und Speicherhäusern Regensburgs. Sie nippen am Aperol Spritz oder ähnlich Instagram-tauglichen Getränken des gehobenen Bildungsbürgers und schauen ein paar jugendlichen Akrobaten dabei zu, wie jene mit spektakulären Flickflacks und nackten Oberkörpern so tun, als mischten sie gerade Brooklyn auf.
Ein paar Hundert Meter Luftlinie weiter versammeln sich derweil die Leute vor einer Bühne am Bismarckplatz. Hier findet gerade ein mehrtägiges Musikfestival statt, inmitten von zwei klassizistischen Bauwerken, die zu den Wahrzeichen Regensburgs gehören. Am südlichen Ende des Platzes ist das der Präsidialpalast, ehemaliger Sitz der französischen Gesandtschaft. An der Nordseite liegt das nicht weniger schmucke Regensburger Theater.
Regensburg: Stadt mit der größten Kneipendichte in Deutschland
Das Gerummse an diesem sonnigen Wochenende in Regensburg ist immens, überall feiernde Menschen, Restaurants mit Tischen im Freien, Biergärten. Wenn man der Eigenwerbung Regensburgs glauben darf, herrscht in der Stadt die größte Kneipendichte Deutschlands. Spaziert man durch die mittelalterlichen Gassen der Altstadt, scheint das zumindest denkbar und nicht nur eine vollmundige Flunkerei zu sein. Überall sitzt und steht man hier in und auch vor einladenden Bars, Restaurants und Gaststuben.
Auffällig ist die Heterogenität des Publikums: Neben den vielen Studierenden genießen auch eine Menge ältere Semester die Verlockungen der Regensburger Gastronomie. Vor der populären „Café Bar“ in der Gesandtenstraße geht’s besonders gesellig zu, am Bismarckplatz lässt sich die Kulturboheme der Stadt auf dem Rand eines malerischen Brunnens das „Thurn & Taxis“-Pils der Stadt servieren.
Wäre ich Thomas Gottschalk, würde ich behaupten, hier tobte das Leben in Tüten, aber der bin ich zum Glück nicht, sondern üblicherweise ein eher skeptischer Zeitgenosse, was gestylten Hype angeht. Um den es sich aber, das muss ich einräumen, hier wirklich nicht handelt. Als ich zufällig sogar eine Kneipe in einer belebten Passage mit diversen Bars und Clubs entdecke, die mit allerlei Fan-Schnickschnack den FC St. Pauli feiert, bin ich überzeugt: Regensburg ist wirklich anders.
Ein Fünftel der Einwohner von Regensburg sind Studierende
In Regensburg kommt auf vielen Ebenen zusammen, was auf den ersten Blick nicht zusammengehört. Die Altstadt zum Beispiel, die 2006 mit ihren über 1.000 denkmalgeschützten Gebäuden zum Unesco-Welterbe erklärt wurde, wird von auffallend vielen jungen Menschen bevölkert. Sie sitzen gern direkt am Ufer der Donau oder sorgen vor den prächtigen Patrizierburgen der Stadt für eine frische, lebendige Note.
Regensburg hat knapp 160.000 Einwohner, darunter sind über 30.000 Studenten. Beinahe jeder Fünfte studiert, lebt und feiert in der bayerischen Metropole. Das prägt. Sozial und kulturell.
Die berühmte Steinerne Brücke zum Beispiel ist eine Spielwiese, auf der sich jeder zu Hause fühlt. Als kunsthistorisches Schwergewicht ist sie eines der Wahrzeichen der Stadt und galt im 12. Jahrhundert gar als Weltwunder. Auf 315 Metern Länge verbinden die 15 Bogen und 14 Pfeiler der Brücke die Altstadt mit dem ebenso idyllischen Viertel Stadtamhof, visueller Beifang ist dabei die malerische Donauinsel am Fuß der Brücke. Das ergibt im Ganzen einen Panoramablick wie von einer Kitsch-KI generiert.
Das Dackelmuseum in Regensburg
„Wir sind das erfolgreichste Museum in Regensburg“, behaupten Sepp Küblbeck und Oliver Storz. Sie lächeln dabei auf eine Weise, die man in Bayern vermutlich ein wenig gschnappig nennen würde. Und die Behauptung ist ja auch frech, wenn man darüber nachdenkt – aber dann auch wieder nicht ganz falsch.
Ihr „weltweit erstes und einziges Dackelmuseum“ lockt schließlich seit seiner Eröffnung im Frühjahr 2023 täglich mehr Besucher an, als die überschaubaren Räumlichkeiten in der Regensburger Altstadt fassen können. Die Schlange sei jedenfalls manchmal länger als vor dem Haus der Bayerischen Geschichte rund einen Kilometer Luftlinie entfernt. Das sagen jedenfalls die beiden Betreiber.
Nun. Der Vergleich zwischen dem 2.500 Quadratmeter großen Renommierbau am Ufer der Donau, der auch erst 2019 eröffnet wurde, und dem gemütlichen Dackelbau in der Weißen-Hahnen-Gasse klingt schon recht verwegen. Doch Küblbeck und Storz lachen die Bedenken weg. Gut gelaunt führen die beiden Floristen, die das Museum nach fünf Jahren aus Passau nach Regensburg überführten, durch ihre amüsante Ausstellung: 10.000 Dackelobjekte will man hier zusammengetragen haben. Vom kuriosen Wackeldackel bis zu kulturgeschichtlichen Folianten, von Waldi, dem Münchner Olympiamaskottchen von 1972, bis zu Starfotos von Romy Schneider mit Teckel im Arm.
Über den sittlichen Nährwert des Museums lässt sich streiten, amüsant aber ist dieses schräge Sammelsurium auf jeden Fall. Und das ist in einer Stadt wie Regensburg mehr als die halbe Miete. „Mei, des is doch liab“, rechtfertigt eine Dame aus Tutzing ihren Besuch in der Welt der Krummbeiner. Sie ist nach Regensburg gekommen, um bei ihrem studierenden Sohn mal nach dem Rechten zu sehen. Ob sie auch das Haus der Bayerischen Geschichte besuche? „Das gräusliche Trumm? Sicher net!“
Mit der Ablehnung des gewaltigen Museums am Donaumarkt ist sie beileibe nicht allein. Der Bau des Frankfurter Architekten Stefan Traxler polarisiert. In der Regensburger Stadtzeitung bezeichnete man ihn schlicht als scheußlichen Betonklotz. Und tatsächlich – zu den lieblichen Kulissen der wohl am besten erhaltenen mittelalterlichen Altstadt Deutschlands verhält sich das Museum wie ein schwarzer Schuhkarton zu einem bunten Hexenhäuschen.
Sehenswürdigkeiten in Regensburg
Der Freizeitwert von Regensburg ist beträchtlich. Die „nördlichste Stadt Italiens“ (Selbstwahrnehmung!) verfügt neben der guten Laune seiner Bevölkerung über zahlreiche Sehenswürdigkeiten ganz unterschiedlichen Temperaments.
Dass etwa zu den berühmten Regensburger Domspatzen auch ein herrlicher Dom gehört, dürfte keine große Überraschung sein. Der gotische Dom St. Peter ist für viele Besucher dann auch die erste Anlaufstelle in der Stadt.
Gleich gefolgt allerdings von einem Wahrzeichen der, nun ja, kulinarischen Art: Die „Historische Wurstkuchl“ liegt seit über 500 Jahren gleich neben der Steinernen Brücke und erfreut sich vor allem bei Touristen größter Beliebtheit. Beim Hochwasser 2023 war auch die „Wurstkuchl“ betroffen, sie ist inzwischen aber längst wieder geöffnet.
Das Standardgericht wird auf Biergartentischen serviert: Bratwürstl mit Kraut auf süßem Senf. Nach dem Schmaus schafft es der vollumfänglich gesättigte Gast dann gerade noch, ein paar Meter weiter am Anlegesteg der Regensburger Schiffsflotte in eines der schicken weißen Ausflugsschiffe der Firma Klinger zu steigen. Ein Ausflug mit dem Schiff nämlich gehört in Regensburg zum festen Programm, dem ich mich auch nicht verweigern wollte: einmal auf der schönen blauen Donau schippern!
Zumal auch dem Donaulimes im Jahr 2021 der Status als Unesco-Welterbe zuteilwurde. Das gilt in erster Linie für spezielle Stätten, die am Verlauf der Donau liegen und aus der römischen Epoche erhalten sind. Für Regensburg sind das unter anderem die Befestigungsmauern mit dem Porta Praetoria und einige Teilflächen im Großen Gräberfeld an der Kumpfmüller Brücke.
Doch so wichtig solch eine Ehre auch für Historiker und Unesco-Fans sein mag: Mit dem Schiff auf eine rund einstündige „Strudelfahrt“ aufzubrechen (elf Euro), ist auch ganz unabhängig davon eine gute Idee. Wer etwas Zeit mitbringt, kann sich auf der Donau auch gleich zur Walhalla schippern lassen (Hin- und Rückfahrt: 18 Euro). Die imposante klassizistische Ruhmeshalle hoch über der Donau wurde einst von König Ludwig I. errichtet und ist wohl mit Abstand die bekannteste Sehenswürdigkeit in Regensburg und Umgebung. Vom Schiffsanleger bis zum Gipfel der Walhalla wartet ein rund 15-minütiger Anstieg auf Besucher, belohnt wird diese Anstrengung allerdings mit grandiosen Ausblicken und 52 schicken Säulen.
Natürlich gibt’s in Regensburg auch ein paar Promis. Gloria von Thurn und Taxis, einst schrille Punk-Nudel mit der Tendenz zur unbedachten Bemerkung, lebt auch nach dem Tod ihres Prinzen Johannes weiterhin im Regensburger Schloss Emmeram. Das schmucke Haus ist mit seinem Museum, den Festspielen und seinem Weihnachtsmarkt von großer Bedeutung für den Tourismus in der Oberpfalz. Führungen in dem mit weit über 500 Räumen größten privat bewohnten Schloss des Lands sind von Donnerstag bis Sonntag und an Feiertagen zwischen 11 und 16 Uhr möglich – und auch lohnenswert.
Die berühmten Kunden des „Hutmachers am Dom“
Ein Fehler allerdings wäre es, nur die gängigen Regensburger Sehenswürdigkeiten in Augenschein zu nehmen. Seit einigen Jahren legt die Tourismusbehörde der Stadt Regensburg einen sogenannten „Handwerkspaziergang“ auf – ganz in der mittelalterlichen Tradition, als Regensburg für seine Handwerkskunst weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt war.
Der Schwerpunkt liegt dabei auf inhabergeführten Geschäften mit Manufakturcharakter wie beispielsweise dem kreativen „Carakess“, in dem Claudia Flügel-Eber kunstvolle Perlbeutel stickt und dort sogar ein kleines Museum – mit Cafébetrieb – betreibt. Originell auch der Verkaufsraum der Bürstenmacherei Ernst in der Glockengasse, der so authentisch inszeniert wirkt wie eine nostalgische Apotheke im Film, tatsächlich aber schon seit 1894 in genau diesem Ambiente alles feilbietet, was zur Reinigung von Körper und Heim zu gebrauchen ist. Glamouröser geht es dann beim „Hutmacher am Dom“ zu, denn hier residiert Andreas Nuslan als Hutmacher der Stars: Johnny Depp trug in der Hollywood-Neuinterpretation von „Alice im Wunderland“ seinen Hut, auch Fürstin Gloria zählt zu den Kunden.
„Das Handwerk passt einfach nach Regensburg“, sagt auch Gerhard Küffer, der in seiner urigen Keramikwerkstatt direkt an der Donau in der Goldene-Bären-Straße arbeitet. Farbenfroh und formvollendet sind seine Exponate, kauzig-warmherzig der Meister selbst, der sich als Keramikkünstler in Regensburg seit Jahrzehnten einen Namen gemacht hat.
Wenn man einen Menschen aussuchen müsste, der Regensburg in der Welt angemessen repräsentieren müsste, wäre Küffer die perfekte Besetzung. Eine barocke Persönlichkeit, in deren Augen der Schalk blitzt und die keiner traditionellen Vergnügung aus dem Weg geht, dabei aber stets den Kontakt zur Jugend und den Einflüssen der jungen Generation behält: Umgeben ist dieser originelle Mensch in seiner Werkstatt ausschließlich von jungen Frauen, die unter seiner Anleitung das Handwerk der Keramik erlernen. „Ich liebe das Leben in Regensburg und meiner Werkstatt“, sagt er und deutet mit ausgebreiteten Händen auf das, was sich vor seiner Tür zeigt: die Donau, der Dom und viele junge Menschen.
Es stimmt wohl, was der bekannte deutsche Journalist Wolfgang Röhl einst über Regensburg schrieb: „Alte Mauern, junges Volk, ein Fluss – immer eine gute Mischung. Regensburg ist eine Stadt, in der alles stimmt.“ Regensburg ist allerdings auch eine Stadt, die überrascht. So findet hier seit einigen Jahren die großartige junge Designmesse „Dilly Dally“ statt, ab November 2024 wieder in der kuriosen RT-Turnhalle aus den 1920er-Jahren. Der Name ist Programm. Und wer jetzt (wie ich ursprünglich) ein wenig deppert schaut, weil er gar nicht weiß, was „Dilly Dally“ überhaupt heißt, dem sei verraten: Die Bezeichnung steht für Zeit verschwenden, für herumtrödeln. Und das ist wirklich das Beste, was man in einer herrlichen Stadt wie Regensburg tun sollte.