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Mann auf einem Motorrad beim Fahren
Harley-Davidson

Heiße Öfen im Kurvenparadies Westerwald

Text
Martin Häußermann

Kenner bezeichnen den Westerwald als Mekka für Motorradfahrer. An der Region zwischen den Flüssen Rhein, Dill, Lahn und Sieg mutiert das Bike mitunter sogar zur Zeitmaschine. Unser Autor nimmt euch mit auf eine spannende Motorradtour durch den Westerwald.

Der Westerwald ist überall. Hier in Höhr-Grenzhausen wird uns das als erklärte Liebhaber des gelben Gerstensafts so richtig bewusst. Leuchtend blau verkündet der Schriftzug Sahm an einer Stahlfassade, dass wir mit unseren Motorrädern soeben den wohl führenden Anbieter von Bierkrügen, Wein- und anderen Gläsern passiert haben. Das heute weltweit tätige Unternehmen, aus dessen Gefäßen wohl jeder schon einmal sein Lieblingsgetränk – Bier, Wein, Sekt oder auch nur Limo – genossen hat, begann im Jahr 1900 als Zinngießerei. Gründer Emil Sahm ließ Zinndeckel für Bierkrüge produzieren, die schon zu dieser Zeit ein beliebter Exportartikel des „Kannenbäckerlandes“ waren.

Westerwaldes Steinzeug in einem Korb
movement media/ Martin Häußermann

Keramik-Heaven

Kein Wunder, wurde hier zwischen Westerwald und Mittelrheintal im 16. Jahrhundert Ton gefunden, das größte Vorkommen Europas, wie man heute weiß. Das erzählt Dorothea Bonk, die uns durch das Keramikmuseum Westerwald in Höhr-Grenzhausen führt. Vor dem Modell eines Brennofens hält sie einen grauen Bierkrug mit kobaltblauem Muster in der Hand und erklärt:

Typisch für das Westerwälder Steinzeug ist der so genannte Salzbrand. Bei rund 1200 Grad vergast das Salz im Brennofen und gibt den Gefäßen diese spezielle Glasur.

So wurden also die „Kannen“ gebacken.

Wie solche Gefäße aus einem Klumpen Ton entstehen, demonstriert uns Wilhelm Worch nach alter Väter Sitte an einer klassischen Töpferscheibe. Mit dem rechten Fuß hält er die Scheibe in Bewegung, während er oben aus dem Klumpen eine Schale formt. „Erst muss ich das Ganze zentrieren, dann eine Grundform herstellen und schließlich das Gefäß nach meinem Wunsch ausformen“, erläutert der junge Mann aus Sachsen, während er genau das mit routinierten Handgriffen tut.

Der große Traum

Während die Motorradfahrergruppe aus Ton mehr oder weniger künstlerische Motorradmodelle formt, kommt der Student an der Staatlichen Fachschule Keramik in Höhr-Grenzhausen ein wenig ins Reden. Natürlich sei es besonders befriedigend, aus natürlichen Werkstoffen kunstvolle Gebrauchsgegenstände zu fertigen. „Am liebsten würde ich natürlich eines Tages den Dreher in der Porzellanmanufaktur Meißen ablösen.“  Auch wenn dies möglicherweise ein Traum bleibt, Sorgen um die Zukunft macht sich Wilhelm Worch nicht.

Auch in der Industrie gibt es tolle Jobs. Keramik ist ja nicht nur Kunst, sie wird ja auch in der Medizin-, Raumfahrt- und Fahrzeugtechnik eingesetzt.

Zum Beispiel als Bremsscheiben bei Renn- und Sportwagen, wie wir bei einem Rundgang durch das weitläufige Museum erfahren. 

Auf der Harley-Davidson durch den Westerwald

Autor Martin Häußermann auf einer Harley -Davidson über die Landstraßen im Westerwald
movement media/ Martin Häußermann

Für Motorräder natürlich auch. Aber der Harley-Davidson, die uns durch den Westerwald begleitet, genügen solche aus Stahl. Wir wollen hier auch nicht heizen wie auf der Rennstrecke, sondern den Westerwald genießen. Dazu gebe es hier auch reichlich Gelegenheit, hatte uns am Tag zuvor Stephan Märtz gesagt, der die Harley-Pressewerkstatt im nahen Mogendorf leitet und den wuchtigen Tourer reisefertig gemacht hatte: „Fahr einfach Richtung Hachenburg raus und dann irgendwann mal links oder rechts weg von der Bundesstraße, da hast Du viel Spaß.“ Ein guter Tipp. Wir gondeln gemütlich durch die Gegend, an Seen, gelb blühenden Rapsfeldern und Bauernhöfen vorbei. Die Orte heißen Maxein, Gebhardshain oder Steinebach. Von letzterem gibt’s sogar zwei.

In Steinebach/Sieg sehen wir das Hinterrad eines Motorrads an einem Laternenpfosten baumeln und biegen sofort auf den daneben liegenden Parkplatz ab. Wir sind am Westerwald-Museum Motorrad & Technik, ein Wallfahrtsort für Motorradfahrer, besonders, wenn sie der Marke BMW huldigen. So wie die beiden Gründer Gerhard und Agnes Weller. Der 73-jährige Kfz-Mechaniker im Unruhestand betrieb hier einst eine Werkstatt für Nutzfahrzeuge, heute schraubt er lieber an alten BMW-Motorrädern. An Fahrzeugen von Kunden und natürlich an den eigenen.

Zweiräder so weit das Auge reicht

Seit 1993 nutzen die Wellers die alten Hallen als Ausstellungsfläche für eine veritable Sammlung an historischen Zweirädern – vorwiegend deutscher Provenienz und vorwiegend Motorradmarken, die längst Vergangenheit sind. Bei den Namen Miele, NSU, DKW, Zündapp oder Kreidler werden bei den reiferen Museumsbesuchern alte Erinnerungen wach, die jüngeren bewundern die Eleganz der historischen Maschinen. Auch eine Horex – diese Marke wurde mittlerweile wiederbelebt – sehen wir in der dicht belegten Halle. Und natürlich BMW soweit das Auge reicht.

Die Marke ist inzwischen Marktführer in Europa, aber deren moderne Produkte interessieren Gerhard Weller wenig. Er schwingt sich lieber in den Sattel seiner R 57 aus dem Jahr 1926, die er gerade für die neue Saison fit gemacht hat. Nach einem kräftigen Tritt auf den Starter schüttelt sich der Zweizylinder kurz und pröttelt dann fröhlich vor sich hin. Als Gerhard Weller dann auch noch unter viel Getöse eine großvolumige landwirtschaftliche Maschine anwirft, trübt sich die Sicht in der Halle merklich ein.

Abgetaucht und tief Luft geholt

Luft! Die bekommen wir nur einen Steinwurf weiter im Besucherbergwerk Bindeweide, in den bis 1931 die Kumpel zum Erzabbau einfuhren. Heute sind es Touristen und Menschen, die ihre Atemwege kurieren wollen. Rund 500 Meter unter der Erde findet sich einer der wenigen zertifizierten Heilstollen in Deutschland. Mit der Grubenbahn fahren wir bis zur ehemaligen Pulverkammer. Wo einst das Dynamit lagerte, kurieren sich heute Asthmatiker und Pollengeplagte unter ärztlicher Aufsicht. „Aber man kann hier unten auch tolle Feste feiern“, betont Bergwerksführer Joachim Weger und lacht wissend.

Wir wollen statt mit der Grubenbahn lieber noch ein wenig mit dem Motorrad fahren. Dieses Mal lassen wir uns nicht einfach treiben, biegen wahllos rechts oder links in Straßen dritter oder viert Ordnung ab, sondern machen es uns bequem. Wir folgen einfach Armin Schmidt auf seiner schon etwas betagten BMW R 80 G/S. Schmidt ist im Hauptberuf Dachdeckermeister, aber:

Mein einziges Hobby ist das Motorradfahren und das mache ich, wann immer ich Zeit habe, nach Feierabend oder an Wochenenden.

Willkommen im Kurvengarten

Und so kennt er sein Revier, das er blumig als „Kurvengarten“ bezeichnet, wie seine Westentasche und führt auch Fremde als Guide durch die Region. „Mich interessieren nur Kurven, ich hasse es, wenn ich mal länger geradeaus fahren muss“, lautet sein Credo. Weshalb auf der gemeinsamen Tour die Trittbretter der Harley immer wieder funkenstiebend aufsetzen, während der gebürtige Westerwälder auf seiner hochbeinigen BMW entspannt vorturnt.

Der Westerwald ist ein Mekka für Motorradfahrer

sagt Schmidt später beim Feierabendbier. Und inzwischen schon ein wenig mehr als ein Hidden Champion unter den Bikern, was an den vielen unterschiedlichen Nummernschildern abzulesen ist, darunter nicht wenige mit gelbem Untergrund.

Parkende Harley an einem Motorradclub Westerland Schild
movement media/ Martin Häußermann

Auf Motorradtouristen setzen auch Petra Schmidt und Christoph Meurer, die das Hotel Paffhausen in Wirges betreiben. Sie sind zwar keine aktiven Motorradfahrer, doch wissen sie aus Gesprächen mit Verwandten, Bekannten und Kollegen, was Motorradfahrer wichtig ist. Gemeinsam mit sechs weiteren Kollegen haben sie sich zu den Bikerhotels Westerwald zusammengeschlossen, die Motorradfahrer willkommen heißen, Garagen oder sicher Parkplätze anbieten, ausgearbeitete Touren bereithalten oder bei Bedarf eben auch einen Guide wie Arno Schmidt organisieren.

Motorradgottesdienst?

Nacht geht die Welt unter. Noch während des Frühstücks regnet es wie aus Kübeln. Na toll! Eigentlich wollten wir heute von Wirges ins nahe gelegene Kloster Marienstatt fahren. In der Zisterzienserabtei soll die jährliche Wallfahrtssaison starten – mit einer Motorradsegnung. Aber von einer Taufe war eigentlich keine Rede. Doch Petrus hat ein Einsehen. Während die gut 50 Zweiräder so langsam auf dem Hof der Abtei eintrudeln, klart es auf, sogar die Sonne lässt sich sehen. Doch weil Pater Martin seinen übergeordneten Instanzen nicht so ganz traut, lädt er die in Lederanzügen, Gore-Tex-Jacken und Warnwesten gewandete Gemeinde in die Basilika ein.

Das gotische Gotteshaus bietet einen festlichen Rahmen und es erstaunt, wie textsicher so mancher raue Zeitgenosse die Kirchenlieder mitsingt. Der Pater hat sie gut ausgewählt, er kennt aus der Erfahrung von zwölf Jahren Motorradgottesdienst seine Schäfchen. Statt einer langatmigen Predigt fordert der weltoffene Geistliche die Zweiradgemeinde zum fairen Miteinander auf und ruft insbesondere den heiligen Columban um deren Schutz an. Der irische Wandermönch, der im 6.Jahrundert auf den Straßen Europas unterwegs war, ist heute der Schutzpatron der Motorradfahrer, die nach Abschluss des Gottesdienstes gemeinsam mit ihren Maschinen auf dem Abteihof gesegnet werden.

Zeitreise auf zwei Rädern

Jetzt wird das Motorrad zur Zeitmaschine, was aber nicht am Weihwasser liegt. Nach nur rund 30 Kilometern haben wir uns 25 Millionen Jahren in die Vergangenheit zurückbewegt. Nein, die Harley ist nicht auf Warp-Antrieb umgerüstet, uns reichen locker zwei Zylinder und 86 PS, um in den Stöffel-Park zu kommen, wo eine der weltweit bedeutendsten Fossilienlagerstätten zu bewundern ist. Und nicht nur das. Mit einem Hämmerchen bewaffnet darf sich der Besucher selbst auf die Suche nach Versteinerungen aus dem Tertiär machen. Eine schöne Abwechslung, insbesondere wenn der eigene Nachwuchs auf dem Motorrad mitreist.

Weil Motorradfahrer aber oft Technikfreaks sind, ist die Besichtigung des Industrie-Erlebnisparks noch viel spannender. Schließlich begann hier, lange bevor geologisch geforscht wurde, der Basaltabbau. Das Gestein wurde hier von 1903 bis 2001 aus dem Stöffelberg gesprengt und an Ort und Stelle weiterverarbeitet, wie uns Parkchef Martin Rudolph erläutert. Dazu dienten so genannte Brecher. Das sind nichts anderes als überdimensionale Kaffeemühlen, in die per Förderband oben Felsbrocken eingefüllt wurden, die dann zu Baumaterial verarbeitet wurde. So bestehen beispielsweise die Gleisbetten unserer Schienenwege aus Basaltstein. Auch nicht wenige Straßen sind mit Basalt gepflastert. Meist sehr zum Missfallen der Motorradfahrer. Wenn dann mal wieder das Hinterrad auf dem nassen Basaltpflaster wegrutscht, realisiert er: Der Westerwald ist überall.

Westerwald Touristik Service
Kirchstraße 48A, 56410 Motabaur
02602/300112, www.westerwald.info

Rheinland-Pfalz Tourismus
Löhrstraße 103-105, 56068 Koblenz
0261/91520-0, www.gastlandschaften.de

Unterkünfte für Motorradfahrer im Westerwald findet ihr unter www.bikerhotels-westerwald.de