Stadtfeste sind ja immer etwas wunderlich. Aber das macht ihren Charme aus. Häufig haben sie ihren Ursprung in mystisch verklärten Ereignissen aus ferner Vergangenheit. So auch in Rothenburg, wo die Einwohner alljährlich feiern, dass ihr Bürgermeister damals einen Riesenkelch Wein in einem Zug leeren konnte. Aber was genau hat es mit dem Meistertrunk auf sich?
Geduld ist bekanntermaßen eine Tugend, in den meisten Fällen eine schwer erlernte. Ich persönlich bin zum Beispiel nur wenig geduldig, wenn es ums Mittagessen, die Straßenbahn in Köln oder den nächsten Band von „Ein Lied von Eis und Feuer“ geht. (Ich warte seit 14 Jahren, George!) Aber es hilft ja nichts.
Neuzeitlicher Dornröschenschlaf
Einen echten Geduldsrekord aber hat die Stadt Rothenburg ob der Tauber hingelegt – wenn auch, zugegeben, nicht ganz freiwillig. Noch im Übergang von Spätmittelalter zur Frühneuzeit, also im 16. Jahrhundert, war Rothenburg eine bedeutende, selbstbewusste und reichsunmittelbare Handelsstadt. Über ihr stand nur der Kaiser.
Dann aber kam die Reformation. Der Stadtrat sprach sich für die lutherische Seite aus und im Dreißigjährigen Krieg stellte Rothenburg sich auf die Seite der protestantischen Schweden – und gegen den Kaiser. Prompt tauchte der katholische Feldherr Tilly auf, schoss die Stadt in einer Belagerung sturmreif. Der Legende nach entging die Stadt nur durch die Trinkfestigkeit des Alt-Bürgermeisters Nusch der völligen Zerstörung. Dem Eroberer wurde in einem prächtigen Glashumpen nämlich die beeindruckende Menge von 3 ¼ Litern Wein gereicht. Das erheiterte Tilly dermaßen, dass dieser sich zum Angebot hinreißen ließ, die Stadt zu verschonen – wenn es denn jemandem gelänge, den Humpen in einem Zug zu leeren. Und diese Heldentat vollbrachte der Bürgermeister Nusch.
![Festprozession beim Stadtfest in Rothenburg ob der Tauber](https://funkygermany.com/wp-content/uploads/2025/02/rothenburg-ob-er-tauber-mittelalterfest-mai-parade-c-FooTToo-shutterstock-1024x945.jpg)
Perle der Romantik
Doch auch, wenn die Stadt der vollständigen Zerstörung entgangen war: Ihre vormalige Bedeutung konnte Rothenburg nicht mehr wiedererlangen. Und fiel in eine Art Dornröschenschlaf. Die einst so stolze Stadt verarmte, viele Entwicklungen und architektonische Moden zogen an ihr vorbei. Und so war Rothenburg noch im 19. Jahrhundert eine mittelalterliche Stadt durch und durch. Und wurde deshalb von den Romantikern entdeckt.
![Blick über die roten Dächer in Rothenburg ob der Tauber, von einem Wehrgang aus gesehen](https://funkygermany.com/wp-content/uploads/2025/02/rothenburg-stadtansicht-wehrgang-c-konrad-bender-683x1024.jpg)
Die nämlich verliebten sich in die verwinkelten Gässchen, die urigen Häuser und auch die Ansichten auf die Stadt, die sich aus dem Umland bieten. Spätestens seit dem Anschluss ans Eisenbahnnetz wurde Rothenburg gleichbedeutend mit einer romantischen Mittelalterstadt – und ist es bis heute. Es hat ja nur 300 Jahre gedauert.
Rothenburg ob der Tauber ist zu jeder Jahreszeit einen Besuch wert. Ganz besonders putzt die Stadt sich aber zur Weihnachtszeit raus. Äußerst unterhaltsam ist eine Tour mit dem Nachtwächter. Und ein echtes Kulturhighlight ist der imposante Riemenschneideraltar in der St.-Jakobs-Kirche. Jedes Jahr am Pfingstwochenende gedenken die Rothenburger außerdem ihrem Bürgermeister Nusch mit dem festlichen Theaterstück „Der Meistertrunk“.