Mitten in Sachsen-Anhalt, auf halber Höhe zwischen Magdeburg und Halle, liegt die Bauhaus-Stadt Dessau. Spätestens seit dem Bauhaus-Jahr 2019 dürfte die Stadt auch über die Landesgrenzen hinaus als einer der Wirkungsorte der Kunstbewegung sein. Wir wissen, warum sich ein Ausflug in die anhaltische Residenzstadt auch heute noch lohnt.
Vielleicht kann man die Zeit zwischen den Weltkriegen heute so gut nachvollziehen, wie lange nicht mehr. Die Welt war im Umbruch, alte Ordnungen und Systeme wurden in Frage gestellt oder gleich gekippt, geglaubte Sicherheiten standen auf der Kippe. Mitten in diesen Umwälzungen suchten Künstlerinnen und Künstler nach neuen Formen der Gestaltung, die diesen Veränderungen und neuen Ansprüchen gerecht werden sollten. Wie lebt der Mensch der Moderne? Dieser Frage ging man am Bauhaus nach, das 1919 von Walter Gropius als Hochschule in Weimar gegründet wurde. 1925 zog die Kunstschule dann nach Dessau um und prägt die Stadt bis heute.
Die Anreise nach Dessau gestaltet sich denkbar einfach: Mit dem Zug kommt man von Berlin in eineinhalb Stunden in die Bauhaus-Stadt, von Leipzig aus sogar in unter einer Stunde – sowohl mit dem Fern- als auch mit dem Nahverkehr. Da kann man nicht meckern. Nächstgelegene Autobahnen sind die A9 und die A14.
Los geht’s am Bauhaus selbst
Wo aber startet man seinen Kulturtrip, wenn man es nach Dessau geschafft hat? Am besten natürlich am Bauhaus selbst. Der von Walter Gropius entworfene Gebäudekomplex liegt in angenehmer Laufdistanz vom Hauptbahnhof entfernt, knapp einen Kilometer Fußweg. Die riesige Glasfassade ist dermaßen ikonisch, dass sie einem auch dann beim Erblicken bekannt vorkommt, wenn man sich noch nie bewusst mit der Materie auseinandergesetzt hat. Und auch der unübersehbare Bauhaus-Schriftzug am Gebäude hilft dem Architekturlaien bei dessen Identifizierung.
Wer sich an dem zu Kulturgeschichte gewordenen Bauwerk sattgesehen hat? Reingehen, natürlich. Zwar wird das Bauhaus heute teilweise noch von der Hochschule Anhalt genutzt – ganz im Sinne des Erfinders also – Tür und Tor stehen Besuchern aber dennoch offen. Die Stiftung Bauhaus Dessau bietet mehrmals wöchentlich eine einstündige Führung an (in der Regel 11 Uhr, genaue Termine online einsehbar) sowie auf Anfrage auch indivduelle Gruppenführungen. Das Gebäude lässt sich aber auch auf eigene Faust erkunden. Da wiederum hilft die hauseigene App, in der sich alle Informationen zum Gebäude und seiner Geschichte finden lassen.
Achtung: Das Bauhaus ist mittlerweile mehr als 100 Jahre alt und die Zeit nagt auch an diesem historischen Gebäude. Immer wieder werden daher einzelne Bereiche des Gebäudes zu Sanierungszwecken gesperrt und sind der Öffentlichkeit dann nicht zugänglich. Wer auf Nummer sicher gehen will, informiert sich vorher online.
Wer noch tiefer in die Materie einsteigen will, der hat sogar die Möglichkeit, im Bauhaus zu übernachten. Wo einst die Studenten und Meister nächtigten, wurden von der Stiftung einige der Zimmer so gut wie möglich wieder in ihren Originalzustand versetzt oder entsprechend der Stilsprache einiger Bauhaus-Persönlichkeiten gestaltet. Die Möbel sind dabei keine Originale, aber originalgetreu nachgebaut. Die 24-Quadratmeterzimmer können entweder einzeln oder im Doppel bezogen werden. Es mag also noch kein Meister vom Himmel gefallen sein, in die Federn fällt man hier aber wie einer. Immerhin. (Achtung: Vom 4.11.2024 bis zum 23.2.2025 hat das Atelierhaus Winterpause. Danach kann wieder wie gewohnt gebucht werden.)
Apropos Meister
Vom Bauhausgebäude fußläufig erreichbar sind dann die sogenannten Meisterhäuser. Hier wohnten unter anderem Walter Gropius, László Moholy-Nagy oder Paul Klee. Auf dem Weg dahin lässt sich ein kleiner Abstecher ins Georgium unterbringen. Hinter diesem Namen verbirgt sich eine klassische Parkanlage, die bereits im 18. Jahrhundert errichtet wurde und heute noch nach den ursprünglichen Plänen des anhaltischen Herzogs Leopold III. – im Volksmund „Fürst Franz“ genannt – erhalten und gepflegt wird. Zwischen erholsamem Grün und klassischen Bauwerken wie römischen Säulen und Parkschlösschen lässt es sich daher noch heute ganz wunderbar flanieren. Der Begriff „spazieren“ wird dem Ambiente hier einfach nicht gerecht.
Die Meisterhäuser wiederum sind ein Traum aus weiß getünchtem Beton. Und das ohne jede Ironie. Schließlich konnte sich Gropius hier nach Lust und Laune architektonisch austoben und seine Vision vom modernen Wohnen gestalten. Herausgekommen ist eine Reihe an Bungalows mit den für die Bauhaus-Architektur typischen Flachdächern und großflächigen Fenstern, die sich malerisch in einen kleinen Kiefernwald einfügen.
Auch hier gilt: Was von außen schon eine wahre Wonne für das Auge ist, kann von innen kaum schlechter wirken. Und so lassen sich einige der Häuser auch im Rahmen einer täglichen Führung der Stiftung Bauhaus Dessau besichtigen (12.30 Uhr). Start der Führung ist wiederum im Besuchszentrum am Bauhausgebäude. Besichtigt werden können die Häuser Gropius, Moholy-Nagy/Feininger und Kandinsky/Klee.
Noch mehr Bauhaus im Bauhaus-Museum
Und weil das immer noch nicht genug Bauhaus war, sei hier auch noch auf das 2019 fürs Jubiläumsjahr errichtete Bauhaus-Museum hingewiesen. Das ist ebenfalls ganz in Bahnhofsnähe und damit wunderbar zentral gelegen. Auch hier die Architektur schön rechteckig, viel Glas, das ganze Programm.
Die Sammlung des Museums bringt es auf stattliche rund 50.000 Exponate, von denen etwa 5.000 in der eigentlichen Ausstellung Platz finden. Die wechseln thematisch in regelmäßigen Abständen.
Schon beim Betreten des Foyers mag man sich verwundert umschauen: keine Wände weit und breit. Der zweigeschossige Bau wird von einigen wenigen Stahlträgern gehalten, der dadurch geöffnete Raum durch keinerlei künstliche Trennwände versperrt. Durch diese freie Fläche wird auch der Blick auf die von innen ebenfalls imposante Glasfassade von keinem Punkt aus blockiert. Der Raum dient nicht nur als Empfangshalle des Museums, sondern wird auch als Veranstaltungsstätte für dramaturgische Aufführungen, Filmvorführungen, Gespräche oder andere Kulturveranstaltungen genutzt.
Die Ausstellung selbst findet sich dreigeteilt im oberen Stockwerk. Neben einigen Klassikern wie dem auch heute noch futuristisch anmutenden Triadischen Ballett von Oskar Schlemmer oder der Clubsessel von Marcel Breuer werden im Hauptsaal des Gebäudes die verschiedenen Schaffensbereiche des Bauhauses anschaulich vermittelt.
Denn an der Kunstschule stand eben nicht nur die Architektur im Zentrum, sondern auch die Gestaltung von Möbeln, Kleidung, Alltagsgegenständen oder auch Schrifttypen. Ebenso wird in der Ausstellung deutlich, wie man sich in der Weimarer Republik mit Materialien wie Stahl, Beton, Glas oder auch dem neuartigen Kunststoff auseinandersetzte. Auf diese Weise wird der beinahe schon universelle Anspruch, den man am Bauhaus an das eigene Schaffen stellte, visuell greifbar.
Dessau-Wörlitzer Gartenreich
Doch Dessau kann mehr als Bauhaus. Die ehemalige anhaltische Residenzstadt bildet den Anfang des Gartenreich Dessau-Wörlitzer, einer vom bereits erwähnten Fürst Franz geschaffenen Sammlung an lose zusammenhängenden Park- und Schlossanlagen, die sich von Dessau aus hervorragend mit dem Rad, dem Auto oder dem Bus erkunden lassen. Ein besonderes Angebot ist hier die WelterbeCard, die im Städtedreieck Dessau-Wörlitz-Wittenberg für einen bis drei Tage den Eintritt zu mehr als 125 Attraktionen beinhaltet. Außerdem lässt sich damit zweimal pro Tag der Nahverkehr in Dessau-Rosslau sowie die eigens eingerichtete Welterbelinie nutzen, die die drei Hauptorte der Region miteinander verbindet.
Außerdem sehenswert in Dessau: das Technikmuseum Hugo Junkers mit spannenden Exponaten zur Luftfahrgeschichte, das Anhaltische Theater, das Stadtschloss Johannbau mitsamt Museum zur Stadtgeschichte und natürlich die Elbe, an deren Südufer die Stadt liegt. An einer Flussschleife steht dann wiederum das von Gropius-Mitarbeiter und Bauhaus-Architekt Carl Fieger entworfene Kornhaus, das noch heute als Gaststätte dient. Kurzum: Langweilig wird es einem in Dessau allemal nicht. Ein Ausflug, der lohnt.