Die Nordsee steckt voller Leben und voller Tiere – und nicht alles davon ist auf den ersten Blick sichtbar. Vom cleveren Kraken über elegante Rochen bis zu neugierigen Seehunden: In den Aquarien, Tierstationen und Naturzentren entlang der Küste gibt es faszinierende Meeresbewohner hautnah zu erleben.
Tarnkünstler mit acht Armen – der Krake im Sylt-Aquarium
25 Schaubecken, eine Million Liter Meerwasser, eine Wellenanlage und Strömungssimulation – das Sylt-Aquarium in Westerland bringt die Welt der Ozeane unter ein Dach. Ein absolutes Highlight: die beiden Glastunnel, in denen Rochen und Hundshaie majestätisch ihre Bahnen ziehen. Plötzlich taucht ein Stechrochen auf, schwebt lautlos vorbei – als wäre er ein Besucher aus einer anderen Welt.
Zwar zeigt das Aquarium viele tropische und subtropische Fische, doch gelegentlich verirren sich auch Exoten in die Nordsee. „Irgendwann kommen die ja auch zu uns!“, erzählt Stefan Köster vom Sylt-Aquarium. Rochen mit einem Durchmesser von anderthalb Metern oder Braunhaie mit einer Länge von fast zweieinhalb Metern sind beeindruckende Bewohner dieser Unterwasserwelt. Und Rochen in der Nordsee? Kein Mythos – am Strand liegen ihre Eikapseln, die sogenannten „Nixentäschchen“, die mit ihrer ravioliartigen Form und den kleinen Zipfeln fast kunstvoll wirken. Auch Haie und sogar Schildkröten wurden schon an der Küste von Sylt angespült.

Eine dieser Schildkröten sorgte sogar für Schlagzeilen: Lebend am Strand gefunden, wird sie nun in der Quarantäneanlage auf ihre Wiederauswilderung vorbereitet. „Sie erfreut sich bester Gesundheit“, berichtet Köster. Wo und wann es für sie zurück ins Meer geht, ist noch unklar – vermutlich in Frankreich. Besucher können die Schildkröte nicht sehen, dafür aber andere faszinierende Meeresbewohner, wie Seepferdchen, die inzwischen immer häufiger an den Nordseestränden auftauchen.
Und dann ist da noch der Meister der Tarnung: der Krake. Wer ihn entdecken will, muss schon ganz genau hinsehen. „Auf den ersten Blick ist er nicht zu sehen – es sei denn, er klebt gerade an der Scheibe“, verrät Köster. Mit seinen acht Armen und unzähligen Saugnäpfen hält er sich nicht nur mühelos fest, sondern klettert auch geschickt durch sein Revier. Lieblingsspeise? Krebse und Muscheln – die knackt er mit beeindruckender Präzision.
Seine vielleicht genialste Fähigkeit: das Farbwechsel-Talent. Der Krake passt sich einfach dem Untergrund an, verschmilzt mit seiner Umgebung und bleibt so vor neugierigen Blicken geschützt. „Wer ihn sehen will, sollte in die Höhle schauen – dort versteckt er sich am liebsten“, rät Köster.
Ein echter Krake wurde in der Nordsee bislang nicht entdeckt, doch ein Zirrenkrake ließ sich bereits nachweisen. Und auch Tintenfische gehören zur hiesigen Unterwasserwelt. Wer hätte gedacht, dass die Nordsee so viele Überraschungen bereithält?
Haie im hohen Norden – Ein Hundshai in Büsum
Seit 1918 gibt es das Aquarium in Büsum – mittlerweile an neuer Adresse direkt am Fischereihafen. Dort, wo sonst Fischkutter anlegen, ging einem Büsumer Fischer ein ungewöhnlicher Fang ins Netz: ein junger Hundshai, eigentlich ein Bewohner wärmerer Gewässer. „In den letzten Jahren tauchen sie in der Nordsee aber immer häufiger auf“, berichtet Aquarium-Chef Gerhard Gebauer. Besonders rund um Helgoland mit seinem felsigen Meeresboden fühlen sich die Tiere offenbar wohl. Doch dieser kleine Hai wurde direkt vor dem Hafen entdeckt – ein waschechter Irrgast.
Gerade mal 60 Zentimeter misst der Neuankömmling, doch das wird nicht so bleiben. Im 24.000-Liter-Becken zieht er jetzt seine Kreise, gemeinsam mit Kabeljau, Meeräsche, Nagelrochen und Katzenhaien. „Der Hundshai sieht auch wirklich aus wie ein Hai“, meint Gebauer, „während Katzenhaie oft für andere Fischarten gehalten werden.“ Die Kulisse: eine historische Wrack-Szene mit nachgebildetem Stockanker – ein Anblick, der durchaus Realität widerspiegelt. Fischer ziehen solche Anker immer wieder aus der Nordsee, denn nirgendwo sonst schlummern so viele versunkene Schiffe auf dem Meeresgrund.

Spannend ist das Leben im offenen Wasser – Meeräschen, Haie, Quallen, die fast schwerelos durch das Becken gleiten. „Die Nordsee ist ein erdgeschichtlich junges Meer mit sehr unterschiedlichen Lebensräumen“, erklärt Gebauer. Seegraswiesen, Tangwälder, felsige Unterwasserlandschaften – all das gehört dazu. In Büsum gibt es sogar eine nachgebaute Muschelbank, bevölkert von Miesmuscheln, Felsenaustern und faszinierenden Blumentieren. Pferderosen und Seeanemonen recken ihre Tentakel ins Wasser, um vorbeischwimmende Beute zu fangen – ein Anblick, der eher in tropischen Korallenriffen als in der Nordsee vermutet wird.

Und dann sind da noch die eher ungewöhnlichen Meeresbewohner mit klangvollen Namen: Seeskorpione und Tote Seemannshände – beide tief in den Felsspalten verborgen. „Manche Arten kommen, andere verschwinden“, meint Gebauer und sieht in dem Hundshai einen klaren Boten des Klimawandels. Früher ging dieser Hai Fischern hier nie ins Netz, heute passiert das immer öfter. Während sich einige Arten wie der Kabeljau in kühlere Gefilde zurückziehen, wandern neue Spezies aus dem Mittelmeer nach Norden. Ein sichtbarer Wandel, der im Aquarium von Büsum hautnah erlebt werden kann – nicht nur als bunte Show, sondern auch als lebendige Wissensquelle. „Dafür sind wir schließlich da.“
Raubtiere mit Kulleraugen – Seehunde im Westküstenpark
Auch im Westküstenpark auf Eiderstedt dreht sich vieles um die heimischen Meeresbewohner. Acht Seehunde leben hier in einem Familienverband, vom Jungtier bis zum 22-jährigen Routinier. In ihrer 1.200 Kubikmeter großen Nordseewasser-Anlage lässt sich ihr natürliches Verhalten beobachten – beim ausgiebigen Sonnenbad, beim spielerischen Tauchen oder durch die großen Unterwasserfenster. Das Herzstück des Parks, das „Robbarium“, bringt die Besucher so nah an die Tiere heran wie kaum anderswo.

Wer sich noch mehr einbringen möchte, kann als „Tierpfleger für einen Tag“ hinter die Kulissen blicken. Erwachsene und Kinder helfen beim Füttern und Pflegen, allerdings ohne Streicheleinheiten – „Seehunde sind Raubtiere mit ordentlichem Gebiss“, erklärt Tierpark-Pädagogin Annika Witte. 120 Kilogramm Muskeln und Zähne, die nicht nur Fisch, sondern auch Finger interessant finden könnten. Doch wenn der Familienverband Nachwuchs bekommt, gibt es die Chance, den Kleinen besonders nahe zu kommen.
Neben den Seehunden sind im Park rund 130 weitere Tierarten aus aller Welt zu Hause. Seit seiner Gründung 1992 setzt der Westküstenpark auf artgerechte Haltung und modernes Naturerlebnis – inklusive der Möglichkeit, bei der Tierpflege aktiv mitzumachen. Eine Anlage, die Wissen vermittelt und gleichzeitig ganz besondere Begegnungen ermöglicht.
Junge Heuler und alte Hasen – die besondere WG der Seehundstation
In der Seehundstation Friedrichskoog, unweit der Elbmündung im Süden Dithmarschens, dreht sich alles um gerettete Seehunde und Kegelrobben. Jedes Jahr werden hier rund 200 junge Seehunde im Sommer und etwa 30 Kegelrobben im Winter aufgepäppelt, bis sie stark genug für die Rückkehr in die Nordsee sind. Doch nicht alle können wieder ausgewildert werden – einige bleiben für immer. Zu den Dauergästen gehören Mareike, Hein und Snorre, die in einem weitläufigen Lebensraum mit 800 Kubikmetern Nordseewasser ihre Bahnen ziehen. Die Anlage wurde so gestaltet, dass sie möglichst nah an natürliche Bedingungen herankommt – mit Sandufern und sonnigen Ruheplätzen.

Besonders Hein hat seinen Lieblingsplatz längst gefunden: direkt am Wasserfall, wo er ausgiebig Sonne tankt. Ein Verhalten, das auch in freier Wildbahn zu beobachten ist, denn Sonnenstrahlen helfen bei der Vitaminproduktion. Eine weitere typische Seehund-Gewohnheit: das Rückenschwimmen. So können sie den Meeresboden nach Nahrung absuchen – eine Technik, die sich hervorragend durch die großen Unterwasserfenster verfolgen lässt.
Jeder Seehund hat seinen eigenen Charakter. Mareike gilt als besonders schlau, da sie neue Übungen blitzschnell begreift. Snorre hingegen ist die neugierige Seele der Gruppe, schwimmt immer wieder an die Scheibe und mustert die Besucher. Wer beobachtet hier eigentlich wen? In der Wildnis ist ständiges Beobachten überlebenswichtig – ein Verhalten, das auch in der Station bewusst gefördert wird. Ein Extra-Hering als Belohnung sorgt dafür, dass wichtige Instinkte erhalten bleiben.

Die tägliche Fütterung ist weit mehr als eine Show für das Publikum. Sie dient dazu, die Tiere medizinisch zu untersuchen und ihren Gesundheitszustand regelmäßig zu checken. Die Heuler und Jungtiere haben ihre eigene, separate Anlage, lassen sich aber durch eine 23 Meter lange Glasfront beobachten – ein Fenster in die Welt der kleinen Robben, die hier ihre zweite Chance bekommen.
Abtauchen ohne nass zu werden
Das Nationalpark-Zentrum Multimar Wattforum in Tönning ist eine Einladung zum Abtauchen – ganz ohne nasse Füße. Mehr als 30 Aquarien bringen die Nordsee hautnah erlebbar, doch das absolute Highlight ist das Riesenaquarium mit satten 250.000 Litern Wasser. Wer durch die große Panoramascheibe blickt, fühlt sich wie ein Taucher auf Expedition. Hummer, Seebarsche und Plattfische ziehen gemächlich vorbei, während die Strömung Algen sanft wiegt – ein faszinierender Einblick in die verborgene Welt unter der Wasseroberfläche.

Doch das Multimar Wattforum ist weit mehr als eine klassische Aquarium-Ausstellung. Auf über 4.000 Quadratmetern erstreckt sich eine interaktive Entdeckungsreise durch das Weltnaturerbe Wattenmeer – von seinen kleinsten Bewohnern bis zu den großen Räubern. Neben der Salzwasserwelt der Nordsee gibt es auch Begegnungen mit Bewohnern der Süßwasserbereiche – darunter die charismatischen Fischotter, die mit ihrer verspielten Art für besondere Momente sorgen.
Ob winzige Wattbewohner oder große Raubfische – überall gibt es faszinierende Geschichten und erstaunliche Phänomene zu entdecken. Eine Welt, die nicht nur beeindruckt, sondern auch verstehen lässt, warum das Wattenmeer zu den wertvollsten Naturlandschaften der Erde gehört.