Welche Serie ist die beste des Jahres? Diese Frage gewinnt im Zeitalter der Streaming-Dienste immer mehr an Bedeutung. In der Vergangenheit ging der Titel mit einiger Verlässlichkeit an eine Produktion aus den USA. „Mad Men“, „Narcos“, „Breaking Bad“ und so weiter. In diesem Jahr aber könnte die Wahl erstmalig auf eine deutsche Produktion fallen.
Okay, „Unorthodox“ ist nur eine Mini-Serie mit vier Folgen à 53 Minuten. Auch ist die Handlung zu fast gleichen Teilen in Berlin und New York angesiedelt. Tatsächlich aber wurden fast alle Szenen in der deutschen Hauptstadt aufgenommen und auch die Produktionsfirma ist in Deutschland ansässig. Bemerkenswert angesichts des keineswegs unterhaltsamen Themas und der schwierigen Vergangenheit.
Kein Recht auf Selbstverwirklichung
Unorthodox nämlich erzählt die Geschichte von Esther „Esty“ Shapiro (geb. Schwartz), die im New Yorker Stadtteil Williamsburg in einer ultraorthodoxen jüdischen Familie aufwächst. Esty muss mit 17 die Schule verlassen, um mit 18 zwangsverheiratet zu werden. Fortan soll sie der Erwartungshaltung gerecht werden, als „Babymaschine“ zu fungieren, wie es im Film recht offenherzig heißt. Erklärtes Gemeinschaftsziel der weitgehend abgeschottet lebenden Satmarer Chassiden ist, den Verlust von sechs Millionen Holocaust-Toten zumindest numerisch wettzumachen.

Die Erwartungshaltung, ihren Anteil leisten zu müssen, lastet schwer auf Esty. Die junge Frau möchte ihr eigenes Leben führen, am liebsten als Pianisten auf den Bühnen der Welt. Eine Kunst, die ganz weit weg schien, die sie aber heimlich erlernen konnte. Dennoch hadert Esty nicht nur mit ihrer Ehe, sondern auch mit ihrer Glaubensgemeinschaft und ganz allgemein mit ihrer Existenz. Also fasst sie den Beschluss, in einen Flieger nach Berlin zu steigen. Ohne Geld, ohne Job, ohne Perspektive – nur mit der Hoffnung, dass sich die Dinge zu ihrem Gunsten wenden. So wie es ihre Mutter lange vor ihr gemacht hat – was ihr aber nur möglich war, indem sie ihre Tochter verlassen hat.
Hoffnung und Desillusionierung
Tatsächlich lebt Estys Mutter ebenfalls in Berlin. Sie liebt nun eine Frau und arbeitet als Krankenschwester. Doch nach den Enttäuschungen der Vergangenheit, sieht die Tochter die Kontaktaufnahme zunächst nur als allerletzte Lösung. Stattdessen sucht sie die Nähe zu den multinationalen Schülern eines Konservatoriums, die das jüdische Mädchen ohne größere Vorbehalte akzeptieren. Gleichzeitig bewirbt sich Esty für ein Stipendium an der Musikhochschule, wo sie denn auch zum Vorspielen eingeladen wird. Doch ihre neuen Freunde rauben ihr schnell die Illusion, dass daraus etwas werden könnte. Stattdessen versuchen Mitglieder ihrer Gemeinde, sie in der fremden Metropole aufzuspüren und notfalls mit Gewalt zurück nach Williamsburg zu holen.

Auf dieser Basis entwickelt sich eine rasant erzählte Story, die einige Wendungen nimmt. Sie lebt vor allem von der überzeugenden Hauptdarstellerin Shira Haas, die die Rolle mit einem feinen Gespür für alle emotionalen Ambivalenzen ausfüllt. Anders als dies in der Vergangenheit allzu oft bei deutschen Produktionen der Fall war, macht sie das auf eine sehr subtile Weise. Auch die anderen Darsteller wirken erfreulich natürlich.
Kritik vom Feuilleton
Das mag auch an der Regie von Maria Schrader liegen, die einem breiten Publikum bislang vor allem als Schauspielerin bekannt ist. Schrader hat maßgeblichen Anteil daran, ein schwieriges Thema auf federleichte Weise mit Leben zu erfüllen. Während das Netflix-Format einen durchaus edukativen Anspruch hat und diesen auch zu erfüllen weiß, sparten einige Feuilletonisten und Historikern nicht mit Kritik. Unorthodox, so ihre Meinung, bestätige vor allem Klischees über bestimmte jüdische Gemeinschaften und trage so zur Bildung von Ressentiments bei.
Diese Sichtweise ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Doch sie birgt ihrerseits eine gewisse orthodoxe Härte. Das schmälert den Wert von „Unorthodox“ als eine Geschichte, die mitten aus dem Leben stammt, nicht. Schaut euch den Vierteiler an – oder lest die literarische Vorlage. Dabei handelt es sich um das Romandebüt der Amerikanerin Deborah Feldman (*1986), die starke autobiografische Züge trägt.