Architekturfans haben fortan guten Grund, nach Berlin zu fahren. Nach sechs langen Jahren der Sanierung hat dort im August 2021 die Neue Nationalgalerie ihre Pforten wiedereröffnet. Der von Ludwig Mies van der Rohe entworfene Museumsbau gilt als Ikone der Moderne.
Eine Fassade aus Glas nur von Stahlverstrebungen durchsetzt. Ein flaches Dach, das weit über den Innenraum hinausragt. Dazu im unmittelbaren Umfeld eine Kaskade horizontaler Linien. Das ist das ebenso simple wie radikal minimalistische Konzept, das Ludwig Mies van der Rohe auf die Neue Nationalgalerie in Berlin angewandt hat.
Der zwischen Landwehrkanal und Tiergarten gelegene Museumsbau wurde 1968 eröffnet. Es ist das einzige Gebäude, das der 1886 in Aachen als Ludwig Maria Mies geborene Baumeister nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland errichtet hat. Sein Stellenwert nicht nur in Deutschland ist enorm, wobei die Verehrung scheinbar immer weiter zunimmt. Das will einiges heißen, denn Kulturbau und Architekt hatten es bereits zum 100. Geburtstag des Bauhaus-Protagonisten gemeinsam auf eine Briefmarke der damaligen Bundespost gebracht.

Funktionalismus und Minimalismus
Als Museumsbau verkörpert die Neue Nationalgalerie sowohl die Formensprache von Funktionalismus wie auch Minimalismus. Damit hebt sie sich von den verschnörkelten, üppig ornamentierten Kulturbauten des aristokratischen Zeitalters deutlich ab. Palästen also, wie sie zum Beispiel auf der Berliner Museumsinsel stehen.
Vordergründig war der Gedanke von Mies und der Bauhaus-Schule, durch diesen Kniff die Aufmerksamkeit vom Gebäude auf die Kunstwerke zu lenken. Insgeheim aber war allen Beteiligten klar, dass diese Rechnung so nicht aufgehen würde. Viel mehr haben es die Exponate der hauseigenen Sammlung und der wechselnden Ausstellungen bis heute schwer, sich der Dominanz und der Brillanz des ästhetischen Konzepts zu erwehren. Hinzu kommt, dass die Neue Nationalgalerie wie so viele Ikonen der Moderne nicht annähernd so funktional ist, wie sie vorgibt. So sind die Räume nicht nur deshalb eher ungeeignet, weil sie lichtdurchflutet sind, sondern auch, weil weiße, universell bespielbare Wände im Originalgrundriss fehlen.

Lange Mängelliste
Auch sonst ist über die Jahre eine kontinuierlich länger werdende Mängelliste entstanden. Mal leckte das Dach, dann wieder wiesen die Natursteinplatten an der Fassade Risse auf. Diverse sichtbare Stahlteile wurden von Rost angefallen und auch die vielen Glasscheiben waren vor Schäden nicht sicher. Nicht zuletzt sorgte das Raumklima immer wieder für Irritationen, das durch den hohen Glasanteil der Fassade starken Schwankungen unterlegen war.
All dies haben Fans eleganter Baukunst nie als sonderlich tragisch wahrgenommen. Schließlich weisen auch die Entwürfe von Frank Lloyd Wright ähnliche Defizite auf, ohne dass ihnen dies etwas von ihrem Glanz nehmen würde. Allerdings war 47 Jahre nach der Eröffnung eine umfangreiche Sanierung unumgänglich. Der Kostenvoranschlag von Star-Architekt David Chipperfield belief sich auf 100 Millionen Euro. Die Tatsache, dass 140 Millionen Euro daraus geworden sind, galt in Berlin angesichts anderer Baudesaster wie dem Hauptstadtflughafen eher als positive Nachricht.

So viel Mies, wie möglich
Bei der Sanierung musste der Brite (*1953) vor allem einer Devise gehorchen, die er als »so viel Mies, wie möglich« beschreibt. Gleichzeitig oblag ihm die Aufgabe, den durchaus anfälligen Bau für die Zukunft fit zu machen. Glaubt man dem Tenor der Feuilletons, ist ihm das mehr als gelungen. So haben Berliner und Besucher fortan wieder Gelegenheit, die imposante Sammlung des Hauses in Augenschein zu nehmen.
Die Namen genießen allesamt den Status von Zugpferden. Auf der Liste stehen Edvard Munch, Pablo Picasso, Ernst Ludwig Kirchner und Max Beckmann, ebenso wie Francis Bacon, Gerhard Richter und Andy Warhol. Gleichwohl würde es wohl niemanden überraschen, wenn der Name Mies van der Rohe im Alleingang wenigstens genau viele Kunstfreunde zieht. Schon der Auftakt könnte den Weg weisen, denn der Architekt stellt sich in den kommenden Monaten gleich der Konkurrenz dreier Ausstellungen.
Neue Nationalgalerie Berlin
Potsdamer Str. 50, 10785 Berlin
Di–So 10–18, Do bis 20 Uhr, Eintritt 14/7 €
Die Kunst der Gesellschaft 1900–1945. Sammlung der Nationalgalerie, 22.08.2021 bis 02.07.2023
Rosa Barba. In a Perpetual Now, 22.08.2021 bis 16.01.2022
Alexander Calder. Minimal / Maximal, 22.08.2021 bis 13.02.2022