Unter Nürnberg breitet sich ein enormes Labyrinth aus Felsengängen und Kellern aus, die einst zur Kühlung von Bier dienten.
Nürnberg ist eine moderne Großstadt mit einem sehenswerten historischen Kern und lebendigen Traditionen. Kaiserburg, Christkindlmarkt oder Handwerkerhof sind weithin bekannte Gründe für einen Besuch. Rostbratwürstchen und Lebkuchen liefern weitere Argumente. Doch auch an der Aufarbeitung düsterer Kapitel der deutschen Geschichte kommt die Stadt nicht vorbei: dies geschieht im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände auf einfühlsame Weise.

Weit unterhalb dieser Oberfläche verbirgt sich eine weniger bekannte Attraktion: die Felsengänge. Dabei handelt es sich um ein Labyrinth von Kellergängen, das sich auf einer Fläche von rund 25.000 Quadratmetern überwiegend unter der nördlichen Altstadt ausbreitet. Die Anlagen wurden 1380 erstmalig urkundlich erwähnt, wobei ihnen ein ganz bestimmter Zweck zugeschrieben wurde: der Lagerung von Bier.
Jeder Nürnberger, der sich im 14. Jahrhundert dem Brauereigewerbe verschrieben hatte, war wegen der gleichbleibenden Lagertemperaturen von acht bis zwölf Grad gesetzlich zum Bau eines solchen Kellers verpflichtet. Und das waren einige, denn im Mittelalter wurde die Bevölkerung von bis zu 42 Brauereien mit Gerstensaft versorgt. Wie Stadtführer Richard Selke beiläufig erwähnt, ist aus dieser Zeit ein Gesetz übriggeblieben, das offiziell nie außer Kraft getreten ist. Es verpflichtete schwangere Frauen zum Konsum von wenigstens vier Litern Bier pro Tag. Kinder mussten derweil binnen 24 Stunden wenigstens einen Liter davon trinken.


Dazu ist es hilfreich zu wissen, dass die meisten Biersorten im Mittelalter weniger als zwei Prozent Alkohol hatten. Aufgrund der schlechten Qualität des Trinkwassers galt das Getränk außerdem als gesünder. Dennoch erklärt die Anekdote anschaulich, warum Bier in der gesamten Region Franken bis heute einen solch hohen Stellenwert genießt.
Bierführung durch Felsengänge in Nürnberg
Wer die Felsengänge besichtigt, kommt unweigerlich auch mit Bier in Berührung: Der Eingang in die bis zu 24 Meter tiefe Unterwelt befindet sich direkt neben der Nürnberger Stadtbrauerei Altstadthof, die das charakteristische Rotbier produziert. Der Rundgang dauert etwas mehr als eine Stunde. Während der Führung werden auch die weiteren Verwendungszwecke erläutert, die die Nürnberger Felsgänge über die Jahre hinweg erfüllt haben.

Direkt an der Burg etwa fungierten die Keller als Kasematten. Auch gab es später einen Wasserstollen unter der Altstadt. Im Zweiten Weltkrieg dienten die Felsgänge als Schutz vor Bombenangriffen. Bis zu 40.000 Menschen sollen sich gleichzeitig in den Katakomben versteckt haben. Heute sagt man in Nürnberg, dass die Stadt zwar zu den am stärksten zerstörten ihrer Art gehörte. Dank des Bierdurstes ihrer Vorfahren aber sind in der Zivilbevölkerung deutlich weniger Opfer gefallen, als in vergleichbaren Städten.


Teile der Felsengänge wurden während der Kriegsjahre auch zur Einlagerung von Kunstwerken verwendet. Damit wäre eine Brücke in die Gegenwart geschlagen, denn in der sogenannten 4. Sohle finden heute Kulturevents statt. Als Bierkeller kam das unterirdische Labyrinth nach dem Durchbruch der elektrischen Kühlsysteme etwa ab dem Jahr 1912 nicht mehr zum Einsatz. Heute jedoch besinnen sich einige Marken wieder auf die Tradition zurück. Dazu gehört auch die Brauerei Altstadthof, in deren Schankstätte die Führung endet. Das hauseigene Rotbier, da legt sich der Autor fest, gehört zu den leckersten Gerstensäften des Landes.